Serie: Ungewöhnliche Berufe – Der Neusser Puppendoktor

13. Juli 2013 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Der kleine Laden am Marienkirchplatz 1 ist pure Nostalgie. In den Schaufenstern der „Puppenklinik Offermann“ sitzen in rustikalen Holzregalen viele verschiedene alte, antike Puppen und Teddys, mit denen vermutlich unsere Gruß- und Urgroßmütter gespielt haben. Puppen mit Porzellanköpfchen oder Echthaar-Frisur, mit niedlichen Gesichtern und süßen Spitzenkleidchen, die Bären mit dunklen Knopfaugen und zerzaustem Fell. Herr über dieses Puppen- und Kuscheltierreich ist Marcel Offermann, der „Puppendoktor“ von Neuss.

Eigentlich ist Marcel Offermann staatlich geprüfter Rettungsassistent, doch schon lange kümmert er sich nicht mehr um verunglückte, verletzte Menschen. Seit vielen Jahren sind seine Patienten keine lebendigen Wesen, aber dennoch hilfebedürftig: Er repariert und restauriert abgeliebte, zerstörte, verbrannte, „verletzte“ Puppen aus Celluloid, Porzellan oder Stoff, Teddybären und Plüschtiere. „Mitunter kommen Leute nur mit einem Karton voller Scherben, etwa von einer Schildkröt-Puppe hier an“, erklärt der Neusser, für sie ist er gewissermaßen die letzte Hoffnung. „Die Leute wollen nicht irgendeine Puppe, sie wollen ihre Puppe wiederhaben, das ist oft eine hochemotionale Sache.“ Seine Aufgabe ist es dann einzuschätzen, ob der Patient noch zu retten ist und wenn ja, wie hoch der Aufwand und die Kosten sind. In schweren Fällen kann eine „OP“ auch schon mal bis zu 60 Arbeitsstunden benötigen. Da wird nicht nur in mühevoller Klein- und Handarbeit geklebt und gegipst, genäht und gestopft, lackiert und gemalt, sondern es müssen auch Ersatzteile und Zubehör gesucht und besorgt werden. Wenn nötig sogar im Ausland, auf Antikmärkten in Belgien, Frankreich oder den Niederlanden. Die eigentlichen Reparatur- und Restaurationsarbeiten erledigt der Puppendoktor allerdings nicht in Neuss. Die Werkstatt mit Brennofen, Lackiererei und allem Werkzeug ist in seiner zweiten Niederlassung in Köln. Er nennt sie sein „Refugium“. Hier kümmert er sich um seine Patienten, die ältesten sind bis zu 120 Jahre alt. Aber es geht natürlich nicht immer um Sammler- und Liebhaberstücke, auch Puppen und Kuscheltieren von heute, mit kleinen oder größeren Wehwehchen, wird geholfen, damit ihre kleinen Besitzer wieder lachen können. Außerdem gehören zu seiner Arbeit das Erstellen von Gutachten für Versicherungen und Gerichte sowie der Kommissionsverkauf und die Versteigerung von Puppen und Bären.

Doch wie wird man Puppendoktor? Marcel Offermann lacht: „Viele Leute denken, ein Puppendoktor müsste ein sehr alter Mann sein oder eine Frau. Wenn sie mich dann kennenlernen, sind sie erst mal erstaunt.“ Der Neusser Puppendoktor ist nämlich gerade mal 42 Jahre alt und auf „Umwegen“ zu seinem Beruf gekommen. Eigentlich wollte er nur während seines Germanistik-Studiums in Hamburg „etwas Geld nebenbei verdienen“. Aber über seinen Nebenjob in einer Hamburger Puppenklinik hat er dann sein Händchen und sein Herz für diese kunsthandwerkliche Arbeit entdeckt und immer weiter intensiviert. Eine klassische Ausbildung zum Puppenrestaurator gibt es nämlich nicht. Zurück in Neuss hat Offermann zunächst noch im früheren „Puppenstudio“ an der Krefelder Straße gearbeitet und schließlich 2001 seine eigene Puppenklinik als Familienbetrieb eröffnet. 2009 ist dann das Kölner Geschäft dazu gekommen. „Mir gefällt diese ‚Fummelsarbeit‘, aus etwas Zerstörtem etwas Heiles zu machen“, sagt er. Bekannt ist der Puppendoktor seit langem auch für seine limitierten Eigenkreationen, die er zusammen mit der Firma Schildkröt fertigt. Unter dem Titel „Offermanns Berühmtheiten“ hat er bekannte Persönlichkeiten als Puppe verewigt, z.B. Mozart, Lady Diana, Barack Obama und Angela Merkel. Ein besonderer Renner war 2005 die Papst Benedikt-Puppe: „Wir haben davon 999 Exemplare produziert und die waren innerhalb von vier Tagen weg. Eine ist sogar nach Südamerika verkauft worden“, erinnert er sich. Zum Abschied vom deutschen Papst gibt es das exklusive Modell dieses Jahr noch einmal in einer Größe von 56cm, mit „Original Ornat des Heiligen Vaters inklusive roter Schuhe“ – streng limitiert und mit Sammlerzertifikat. Als echter Neusser hat Offermann natürlich auch Schützenpuppen entworfen, die er auf Anfrage gerne individuell gestaltet.

Sein ungewöhnlicher Beruf bringt den Puppendoktor auch schon mal in ungewöhnliche Situationen. So sollte er einmal beim bekannten Düsseldorfer ‚Bordellkönig‘ Bert Wollersheim eine Puppe zur Reparatur abholen. Er hat den Auftrag dann aber erst angenommen, als klar war, dass es sich wirklich um eine „normale“ Puppe, nämlich das Maskottchen eines Etablissements, handelte. Schöner ist da noch zu hören, dass er seine Ehefrau Julia, eine Juristin, über die Puppenklinik kennengelernt hat: „Sie ist mit einer Puppe aus ihrer Kindheit zu mir gekommen.“