„Macbeth“ in frischer Version auf dem Shakespeare-Festival – Varianten der Grausamkeit

12. Juli 2013 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Was ist „fair“ und was ist „foul“? Macbeth gilt als Besessener, ergriffen von den Teufeln in seiner Brust und den teuflischen Kräften der Welt, die nach Macht gieren. Im Bund der Gewalt und des Gemetzels ist die Herrschaft sein Ziel. Als schenke sie das unendliche Glück, auch wenn sie nur Verhängnis und Untergang zu bringen vermag. Doch Glück und Unglück haften oft untrennbar aneinander oder lassen sich nicht klar voneinander differenzieren. Die Diplominszenierung von Tim Tonndorf verrückt den Fokus von schierer Machtgier in Richtung Traum und Lebensweisung, bringt Deutungsspielraum im Spiel ins Spiel.

Scheint manches klar und nicht antastbar, so vermag widersprechendes Verhalten entgegen allgemeiner Norm, die Definition von Recht und Unrecht ins Wanken bringen. Gemetzel lässt sich nicht legitimieren, doch sind die Wurzeln nicht immer schon verwerflich. Shakespeares Macbeth gehorcht seiner Machtgier. Für sie unterjocht er Glück und Freude, Ehre und Anstand. Nicht aber Gehorsam. Als Sklave seiner sich auferlegten Pflicht, die Herrschaft zu ergreifen, bringt er wissend den Fluch über die Menschheit. Er dient dem Bösen bis zum bitteren Schluss seines Daseins, seines Nichts. Ein Tyrann, der der dämonischen Ehrsucht frönt. Er wird zum leibeigenen Knecht seines Lebenstriebs, zum Narr des Machttreibens, das sich der Sinnhaftigkeit entleert.

Doch wie fing es an? Die Feldherren Macbeth und Banquo schlagen eine Rebellion erfolgreich nieder. Auf dem Rückmarsch begegnen sie auf der Heide den drei Hexen, die Macbeth als Than von Glamis und Cawdor sowie als späteren König begrüßen. Als ein Teil der Wahrsagung bei Macbeths Rückkehr am Hofe unmittelbar in Erfüllung geht, zieht er den Schluss, er müsse jetzt auch König werden. Das ist die tragische Ironie des Stücks. Der Prophezeiung folgend, und angetrieben von der ebenso machtlüsternen Lady Macbeth, wütet er sich kaltblütig an die Spitze des Reichs. Doch auch als König ist ihm der Thron und die Macht nicht sicher. Der Schrecken geht weiter. Eine Gräueltat setzt auf die nächste, den Meuchelmorden und Bluttaten sind keine Grenzen gesetzt.

Unbegreifliche Irrationalität menschlichen Handelns

Shakespeares Stück, 1605/06 als letzte der vier großen Tragödien entstanden, ist zwar von der Zerstörungskraft des Bösen und seinen Folgen im psychischen und gesellschaftlichen Bereich bestimmt, aber Macbeth ist nicht von Anfang an ein Bösewicht wie etwa Iago in Othello. Er durchläuft vielmehr eine von übernatürlichen Wesen geschürte Entwicklung und bereitet sich im Zusammenspiel mit den unheimlichen inneren und äußeren Mächten selbst den Weg ins Verderben. Macbeth ist der tragische Held, der die unbegreifliche Irrationalität menschlichen Handelns dem Publikum vor Augen führt. Er ergibt sich dienend der Weisung. Er wagt nicht, den Schritt aus ihr zu tun.

Hier setzt die moderne Inszenierung der Absolventen der Berliner Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst an. Der Ansatz ist, „The tragedy of Macbeth“ nicht als Tragödie des terrorisierten Schottlands zu begreifen, sondern das Scheitern des Protagonisten an seinen Träumen ins Blickfeld zu rücken. Es ist die Geschichte eines Mannes, der vom loyalen Krieger zum tyrannischen Herrscher mutiert, der an der Schwere seines durch Mord errungenen Amtes zusammenbricht. Tonndorf streicht dafür das Rollenensemble auf die wesentlichen Handlungsträger zusammen und lässt jeden Spieler gleichzeitig seinen Gegenpart verkörpern. Die Dualitäten des Seins, die zwei Seiten einer jeden Medaille, sie werden zum Wesenszug. Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, Schmerz und Freude, sie sind durch diesen Besetzungs-Schachzug zwangsläufig aneinander geknüpft.

Ein frischer Zugriff auf altbewährten Stoff von aufstrebendem Schauspielnachwuchs. In einer Stunde und 40 Minuten wird Macbeth mit viel szenischer Fantasie ins Hier und Jetzt gesetzt. Der Berliner Jungregisseur Tim Tonndorf holt die Sprache ins Heute ohne der Geschichte eine bemühte Aktualisierung aufzuzwingen und verzichtet auf bleierne Tragik. Auch, aber sicher nicht nur für Schüler ein hoch interessanter Abend!

(„Macbeth“ in vier Vorstellungen vom 4.7. bis 7.7.2013. im Globe auf dem Neusser Rennbahngelände. Nähere Infos unter www.shakespeare-festival.de)