Feste Zons und zurück zu König Ludwig

11. Juli 2013 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Was erst eine genuschelte Idee war, fand in der Redaktion Anklang: wo kann man auf dem Fahrrad die Landschaft genießen? Natürlich mit sonnigen Bildern von unterwegs. Schön. Doof nur, dass dies an einem der wohl heißesten Tagen des Jahres sein musste.

Für die nachfolgenden Tage waren Hitzegewitter vorausgesagt worden. Schlecht für Fotos. Also Augen und zu und durch bei rund 35° Grad im Schatten. Wohin? Die abgemachte Tour verlief vom Neusser Markt bis zur Zonser Fähre und auf Düsseldorfer Seite wieder zurück. Rund 40 Kilometer, wenn man keine Umwege fährt. Superidee.

Marktplatz, gute Laune, 8.52 Uhr

Die Reifen sind frisch aufgepumpt, die Kette geölt. Wer hätte eigentlich vor rund 20 Jahren gedacht, dass dieses Mountainbike von Huma so lange so gut fährt? Damit ich das die nächsten Stunden auch schaffe, brauche ich was zu beißen. Das Angebot ist äußerst üppig: Schwan, Extrablatt, Café Oebel – leckeres Frühstück für alle Geschmäcker. Für meinen auch, aber ich weiß: Wenn ich mich jetzt hinsetze, fahre ich erst später bei größerer Hitze los. Entscheidung gefallen: Ich rolle den Markt runter und halte um die Ecke vom OkieDokie, bei Mundraub. Für manch einen ist das Mekka für Frühstücks-Leckereien zum Mitnehmen noch ein Geheimtipp. Frische, variantenreich belegte Brötchen und Laugenstangen, saftige Ciabattas und Baguettes – meine Wahl fällt auf ein Baguette mit hausgemachter Thunfisch-Crème und auf einen frischen Müsliquark. Letzterer wird gleich verzehrt. Es kann losgehen, auf zur Südbrücke.

Deich an der Südbrücke, es läuft, 9.19 Uhr

Sicher gibt es blödere Arbeitsplätze an einem solchen Tag, denke ich und lobe mich für meinen tollen Themenvorschlag. Auf dem Fahrradsattel, bei knapp 20 Grad am Rhein, muss nun auch das Baguette dran glauben. Hm, lecker. Ja, es gibt wirklich schlechtere Arbeitsplätze an diesem sonnigen Tag! Ich bleibe kurz stehen, um ein Foto zu machen und notiere Ort und Zeit. „Sie schreiben doch die Bäume auf, die Sie wieder fällen wollen!“ Ich zucke zusammen. Hinter meinem Fahrrad steht ein älterer Herr mit seinem Hund. Zum Glück ein kleiner. Also der Hund. Nein, ich bin nicht von der Stadt, erwidere ich. „Ach so, na dann ist ja gut“, lächelt er grüßend und geht weiter. Naturschutz reloaded, denke ich und setze meinen Weg fort. Vorbei am Sporthafen, komme ich zum Reuter Hof. Ob man hier immer noch so gemütlich einkehren kann, wie es meine Eltern mit uns Kindern getan haben? Bestimmt. Für mich kommt dies aber leider nicht infrage. Ist ja erst kurz vor halb zehn und ein gutes Stück Strecke liegt noch vor mir. Ich beschließe wieder zu kommen und weiter die Idylle des Neusser Rheinufers in vollen Pedaltritten zu genießen. Vor der Fleher Brücke bleibe ich auf dem Radweg an der Straße und lande kurz darauf in Uedesheim. Mit einem Schlenker nach links Richtung Rhein, erreiche ich die Anlegestelle der Uedesheimer Fähre.

Anlegestelle, Temperaturen steigen, 9.58 Uhr

Wenn ich bedenke, dass ich den Weg auf der anderen Seite noch zurück strampeln muss, käme mir eine fahrende Fähre gerade Recht. „Die fährt nicht“, wieder hat sich mir im Rücken jemand genähert. Diesmal ein Busfahrer, der Pause macht und meinen Blick auf das Wasser richtig gedeutet hat. „Die fährt immer nur am Wochenende und an Feiertagen, wenn das Wetter schön ist.“ ‚Schade, dass heute kein Sonntag ist’, will ich antworten, werde aber direkt eines besseren belehrt. „Na ja, und wenn kein Hochwasser ist natürlich.“ Ach ja, nicht dran gedacht. Ich bedanke mich für die Info und biege rechts in einen Weg unten am Rhein entlang. So langsam merke ich meine Beine und mein Hintern signalisiert mir, dass er sich gerade auf einem bequemen Bürostuhl auch wohler fühlen würde. Mein Rücken ist schweißnass. ‚Jammer’ nicht!’, denke ich. Besser hier als im Büro. Zack, da kommt eine böse Steigung. Ich geb’ Gas…und bin drüber weg. Stopp. Anhalten, Rucksack aus, Wasserflasche in einem Rutsch runterkippen. Egal, in Zons gönne ich mir eine Pause und was zu trinken.

Wegweiser Zonser Grind, eigentlich keine Lust mehr, 10.26 Uhr

Ich hatte mir genau diese Stelle bei Tante Google angesehen und stehe nun unschlüssig davor. Meine Muskeln oberhalb der Knie und mein Allerwertester verfassen gerade eine Petition gegen mein Großhirn mit dem Titel: Du biegst hier auf keinen Fall ab! Eigentlich haben sie Recht, geradeaus sind es fast vier Kilometer weniger. Das Handy klingelt, meine besser Hälfte ruft an: „Wie sieht’s aus?“, ich kann hören, wie sie sich ein Lachen verkneift. Da weiß ich, klein bei geben geht jetzt gar nicht! „Och, ich spüre zwar wie mir langsam die Energie flöten geht, aber ich biege jetzt in den Zonser Grind ab. Das ist zwar weiter von der Strecke her, aber egal. Was? Ach, die Hitze. Nö, kein Problem, ich wollte das ja. Weißt Du eigentlich wie unglaublich schön Neuss sein kann?“ Mit der Gewissheit, sie ein wenig neidisch gemacht zu haben, rolle ich abwärts gen Zonser Grind…und stelle schon nach kurzer Zeit fest, dass es die richtige Entscheidung war. Ist. Das. Schön. Manch ein Blick kommt einer Filmkulisse gleich. Den Paarhufern ist das schnuppe, sie finden meine Kamera viel interessanter. Nach zwei Kilometern wird der Weg dann plötzlich ziemlich ruppig. Die Lenkerschläge merke ich bis in den Nacken, es wird immer heißer, meine Tritte werden schwer, der Schweiß läuft mir innen die Brille runter. Okay, so langsam geht’s ans Eingemachte. Ich will ein Weizenbier.

Feste Zons, Neugierde verdrängt Müdigkeit, 11.01 Uhr

Ich sehe mich ein bisschen um, lange war ich nicht hier. Schon um diese Uhrzeit sind die Cafés gut besucht mit Touristen und Ausflüglern, viele sind ebenfalls mit den Fahrrädern da. Nur kommen die entweder nicht von so einer weit entfernten Stadt wie ich, oder sie stecken mich trotz höheren Alters konditionell zigfach in ihre Satteltaschen. Ich mache ein paar Fotos und entscheide mich aufgrund meines klatschnassen T-Shirts gegen eine Einkehr. Ein frisches Oberteil hab ich zwar noch dabei, aber das soll ja erst nach meiner Ankunft seinen trockenen Zweck erfüllen. Also geht’s auf die Fähre. „Ein Euro fünfzig, wenn’s geht passend“, lautet der Sound zum reichlich tätowierten Arm, an dem eine offene Hand auf meinen Obolus wartet. Der junge Mann grinst mich an. „Sorry, aber ich habe keine Zeit, wenn wir anlegen, muss ich kassiert haben“, gibt er Schulter zuckend zu bedenken. Neben ein paar Radfahrern nutzen noch ein Auto- und ein Treckerfahrer den Service der Fähre. Würde es diese nicht geben, müssten wohl viele täglich große Umwege in Kauf nehmen.

Düsseldorf Unterbach, lecke Täsch Marie, 11.28 Uhr

Die holprige Auffahrt von der Fähre spüre ich noch am Benrather Schlossufer in den Beinen. Das historische pittoreske Gebäude wollte ich mir eigentlich ansehen, aber aus der Genießertour ist spätestens nach der Fähre purer Sport geworden. Mein Kampfgeist hat eingesetzt. Meine Blicke gehen immer öfter runter auf die Kettenritzel, ich will ankommen, trete und trete, Umdrehung für Umdrehung. Mann, bin ich blöd. Ich könnte jetzt auch im Büro sitzen, einen Ice-Frappé oder ein Zitroneneis genießen. Ja, das wäre Genuss! Stattdessen strampele ich mich hier ab, meine Muskeln brennen, mein Gesicht von der Sonne auch, ätzend. Warum mache ich eigentlich immer so etwas? Letztes Jahr hatte ich beim Joggen plötzlich die Idee zur Autobahnbrücke der A44 am Düsseldorfer Flughafen zu laufen. Hab ich auch gemacht. Knapp zwanzig Kilometer hin und zurück waren das, ich Idiot. Danach konnte ich zwei Tage lang fast keinen Fuß vor den anderen setzen, so hat es in meinen Beine gezogen. Keine Zähne mehr im Mund, aber La Paloma pfeifen. So sieht die Realität doch aus! Ups, wo bin ich den hier? Irgendwo in Holthausen. Ich wurschtele mich durch Itter und Himmelgeist zurück an den Rhein und passiere die Universität. Prompt kommen schöne Erinnerungen an die alte Uni-WG zurück. Ich muss grinsen, was hatten wir eine geile Zeit. Da kommt mir die Idee. Es gab einen Ort, wo man damals immer willkommen war. Egal, ob Geschäftsmann oder Student, ob Denker oder Lenker, ob Jung oder Alt, verschwitzt oder parfümiert: Der Biergarten von Arnulf und Helga am Düsseldorfer Kajak Club, dort, wo einst auch eine Fähre zwischen der Landeshauptstadt und Neuss pendelte. Ich treffe auf den Fleher Deich und gebe Gas, denn kurz hinter der Südbrücke wartet wohl endlich mein Weizenbier.

Düsseldorf Hamm, total platt, 12.29 Uhr

Ich betrete den Biergarten am Ende der Fährstraße. Alles wie immer, nur leider noch nicht geöffnet. Die Aussicht von der Terrasse aus ist so wunderschön wie eh und je. Später sehe ich im Internet (www.kcd-restaurant.de), dass aus Arnulf und Helga mittlerweile Ute und Otto geworden sind. Hoffentlich hat sich an dem Flair des Biergartens nicht geändert. Das muss recherchiert werden. Meine nächste Radtour wird definitiv nur über die Südbrücke bis zu diesem Ort führen. Aber nun ist Zeit, den letzten Anstieg in Angriff zu nehmen. Mein Rad wird die Brücke nicht hochgeschoben!, denke ich und verfluche mich innerlich gleich wieder dafür. Alpe D`huez bei der Tour de France ist da ja wohl ein Fliegenschiss gegen. Aber am Scheitelpunkt der Brücke ist es geschafft, ich roll bergab, trete nur noch locker in die Pedale. Ich rufe unseren Planungs-Chef an. „Wir sitzen gerade im Schwan beim Essen. Komm’ doch hierhin.“ Essen im Schwan…wer genießt denn hier?! Ich. Ganz klar. Fast war es mir entfallen, wie schön es in Neuss am Rhein ist. Würde ich diese Landschaft in einem anderen Land oder einer anderen Stadt sehen, würde ich den Leuten erzählen, wie schön es dort ist. Etwas Besseres kann man eigentlich nicht genießen. Wobei: das kalte König Ludwig Weizenbier nach meiner Ankunft am Markt kam schon sehr nah da ran.