Vom Glauben an Macht zur Macht des Glaubens

7. März 2013 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Jugendstück „Nathans Kinder“ von Ulrich Hub im Studio des RLT

Schalom – wir wollen Frieden für alle. Für alle? – Da wären Christen, Juden und Muslime, alle in einer Stadt, alle im mittelalterlichen Jerusalem. Alle glauben an ihren Gott. Alle kämpfen für diesen; morden im Namen des Herren. Was ist Glauben, was Gott, was die wahre Religion? Ulrich Hub hat Lessings über 200 Jahre alten Klassiker „Nathan der Weise“ für die Jugendbühne modern lebendig aufgepeppt. Im Zentrum der Handlung stehen die Kinder, die sich lieben lernen und das Abschlachten für den Glauben nicht verstehen. In einer temporeichen, witzigen wie hintergründigen Inszenierung ist das Stück jetzt im Studio des Rheinischen Landestheaters unter der Regie von Michael Lippold zu sehen.

Es war ein Engel, der Recha aus den Flammen des Hauses rettete. So zumindest verkündigt sie es ihrem Vater. Ein Engel mit weißen Flügeln, in den sie sich prompt verliebte. Doch es war Kurt, ein Kreuzritter, mit weiß wehendem Gewand. Einer, mit einem dicken, roten Kreuz auf der Brust und einem silbernen Helm auf dem Kopf, mit dem er gegen Andersgläubige zu Felde zieht. Aber Recha liebt und versucht, Kurt für sich zu gewinnen. Denn sie kann nicht glauben, dass Glaube Menschen entzweit und Liebe verhindert. Sie will begreifen, was Religion bedeutet und warum die eine besser als die andere sein soll. Doch so einfach ist das nicht, sie ist die Tochter eines Juden namens Nathan. Ein weiser, kluger und reicher Mann, der das Mädchen einst zu sich nahm, als man ihn seiner eigenen Familie beraubte. Frau und Kinder, allesamt ermordet von Kreuzrittern. Und dann gibt es noch den muslimischen Sultan, der zwar aus Barmherzigkeit den Christen Kurt vor der Enthauptung rettete, aber ansonsten den Tod von Christen und Juden fordert. Daneben regiert ein weiterer Machthaber das Jerusalem des 11. Jahrhunderts: der Bischof als Christenführer. Er will, dass Kurt für ihn den Sultan und auch den Juden Nathan aus dem Weg schafft. Er will Jerusalem für sich. So wird die Stadt zum Schmelztiegel von Intrigen, Gewalt und Machtgelüsten.

Toleranz als Wertigkeit ohne Wert

Hubs Neufassung setzt Lessings Klassiker in ein frisches Outfit, gleicht ihm in seiner nicht vergänglichen Brisanz, aber verändert den Fokus auf die Jugend. Eine Gesellschaft aus mehreren Völkern mit vielen Kulturen, das ist heute genauso aktuell wie einst. Migration, Integration dazu orthodoxer Fanatismus, das sind Begriffe unserer Zeit. Geld und Macht als Lebens- und Regierungsziele; Toleranz und Verständnis als Wertigkeiten ohne Wert. Da lässt sich Welt im tieferen Sinn für Kinder und Jugendliche schwer deuten. Naive Fragen drängen in den Raum, die klüger nachklingen als die Antworten der Alten. „Das Wort Denken müsst ihr schon dem Diener Gottes überlassen“, erklärt der Bischof Kurt sein boshaft intrigantes Treiben. Der Sultan muss weg, denn: „Er glaubt, sein Gott ist der wahre Gott.“ Eine vertrackte Situation. Was ist die Legitimation des Handelns? Da kommt – wenn auch in verknappter Version – die Lessing’sche Ringparabel ins Spiel: Die Geschichte um einen Ring als wundersames Erbstück, der seinen Besitzer vor Gott und den Menschen mit Wohlwollen versieht, wenn dieser nur fest an ihn glaubt. Über Generationen wird er vom Vater an seinen meistgeliebten Sohn weitergereicht, bis ein Vater sich nicht unter seinen drei Söhnen entscheiden kann. So fertigt dieser noch zwei Duplikate an, dass jeder Sohn einen Ring erhält. Doch welcher ist der wahre Ring? Das lässt sich nicht mehr erkennen. Alle sind gleich. Drei Ringe, drei Religionen. Der echte Ring ist der, der Gutes vollbringt.

Rasant und flott, mit Humor und Hintergrund, dreht sich in Lippolds Inszenierung das Glaubenskarussell. Einfallsreich und gelungen auch das Bühnenbild von Sarah Bernardy als drehende, runde Holzbühne mit drei Fächern. Jedes Fach hat seinen Glauben. Doch tanzen die Figuren aus ihnen heraus, im Wechselspiel der Positionen, mitunter sich der Lächerlichkeit preisgebend. „Jetzt kommt Kurt“, rappt es laut auf. Musik- und Showeinlagen bringen Schwung, gelehrige Langeweile hat keine Chance. Von den fünf Schauspielern mag man keinen rausstellen, da in

der Darstellerriege jeder für sich brilliert. Ein tolles Jugendstück. Eine geistreiche, vergnügt wie nachdenklich stimmende Produktion. Prima!

(Für Kinder ab 10 Jahren; Termine und Infos unter www.rlt-neuss.de)