Gläserne Decke versperrt Frauen die Spitze

4. März 2013 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Christel Thissen (CT), Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, weiß, dass für Frau und Mann nicht immer Chancengleichheit herrscht. Seit 1999 das Landesgleichstellungsgesetz in Kraft getreten ist, sei schon viel erreicht worden. Aber noch lange nicht genug.

Mit der Veröffentlichung der anzüglichen Bemerkungen Rainer Brüderles gegenüber einer Reporterin brach eine Sexismusdebatte los. Frauenfeindlichkeit in Deutschland, für die Einen nicht mehr existent, für die Anderen tägliches Problem. Wie sieht es wirklich aus in unserem Miteinander? Christel Thissen weiß um die reale Situation. Als Gleichstellungsbeauftragte im Büro des Bürgermeisters ist sie Ansprechpartnerin für beide Geschlechter. Zu Themen wie Existenzgründung, Existenzsicherung, Gewalt, Weiterbildung, Lohnunterschiede, Trennung, Kündigung, Mutterschutz, Elternzeit, diskriminierende Werbung oder Alterssicherung wird Christel Thissen aber zu 98 Prozent von Frauen befragt. Und von uns.

Trotz überdurchschnittlicher Bildung arbeiten Frauen in Deutschland nur zu 1,3 Prozent in Spitzenpositionen, in Ganz Europa sind es 5 Prozent, in den USA sogar 20 Prozent. Warum hinkt Deutschland hinterher?

CT: In vielen Bereichen gibt es meines Erachtens nach wie vor die gläserne Decke, die Frauen den Zugang zu einer Spitzenposition versperrt. Frauen werden häufig von männlichen Netzwerken ausgebremst. Männern wird mehr berufliche Kompetenz unterstellt, vor allem bei Führungsaufgaben. Frauen wird überdies oft eingeschränkte Flexibilität unterstellt. Der Aspekt der beruflich familiären Doppelbelastung ist nach wie vor in den Köpfen der Männer verankert.

Was hat sich in Sachen Gleichstellung in den letzten Jahren getan?

CT: Es hat sich ganz viel getan. Eine große Errungenschaft für mich als Gleichstellungsbeauftragte ist das 1999 in Kraft getretene Landesgleichstellungsgesetz NW, das die Kommune anzuwenden hat. Das ist sozusagen die Bibel einer Gleichstellungsbeauftragten. Da geht es um die Quote, um Qualifikation, um Frauenförderung und den Abbau bestehender Benachteiligungen innerhalb der Kommune. Ansonsten hat sich in der Frauenpolitik einiges getan. Sie ist heutzutage anerkannter als früher. Wir haben ein Gewaltschutzgesetz, der Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder wird forciert und wir haben viele Beratungsnetzwerke für Frauen aufgebaut. Eine moderne und konsequente Gleichstellungspolitik muss die realen Lebensbedingungen und tatsächlichen Geschlechterverhältnisse von Frauen und Männern berücksichtigen! Bis zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter ist es noch ein weiter Weg.

 

Vom 3. bis 23. März feiert Neuss mit zahlreichen Veranstaltungen den Internationalen Frauentag. Das diesjährige Motto „Kurs halten“ klingt irritierend. Zeigt die aktuelle Sexismus-Debatte nicht, dass neue Wege gegangen werden müssten?

CT: Das diesjährige Moto zum Internationalen Frauentag „Kurs halten“ hat viel mit den Fragen zu tun: Wie steuere im mein Leben? Welches Rüstzeug benötige ich? Wie soll und kann mein Lebensweg aussehen? Diese Fragen stellen sich nicht nur Frauen, Männer halten jedoch meist konsequenter Kurs darauf. Und so tauchen in den Veranstaltungen auch die Themen Rente und Finanzen auf – wichtige Aspekte für ein Frauenleben. Die aktuelle Sexismusdebatte zeigt, dass noch Handlungsbedarf und Aufklärung erforderlich sind, das Thema aber auch individuell unterschiedlich empfunden wird. Mein Wunsch: In einer gleichberechtigten Gesellschaft einen respektvollen Umgang zwischen den Geschlechtern zu entwickeln.

Wo kann ich mir einen Überblick über die Veranstaltungen verschaffen?

CT: Einen Überblick gibt es im Internet unter www.neuss.de und http://ag-gleichstellungsstellen.rhein-kreis-neuss.de. Außerdem ist das Programm im Bürgerbüro, in der Tourist-Information, der Stadtbibliothek, der VHS, dem Rheinischen Landestheater und vielen Kooperationspartnern erhältlich.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Frauen sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Sie wollen benannt, angesprochen und sichtbar werden – und das mit einer geschlechtergerechten Sprache! Ich wünsche mir Gleichstellung und faire Chancen im Berufsleben und gerechte Entlohnung für Frauen. Im März wünsche ich mir gut besuchte Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag.