„Das Paradies der Täter“ – Der neue Roman von Jürgen Seidel

4. März 2013 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Der renommierte Neusser Autor Jürgen Seidel schreibt Jugendromane, die es in sich haben. Sie sind spannend, oft auch abenteuerlich, meist spielen sie vor einem realen historischen Hintergrund. Die jugendlichen Hauptfiguren geraten in Grenzsituationen, in die die Leser mit hineingezogen werden. So auch in seinem neuen Roman, der die Geschichte von Tom Blume erzählt, einem Sohn untergetauchter Nazis im Argentinien der 50er Jahre – „Das Paradies der Täter“.

„Jugendliche sind die strengsten Kritiker“, sagt Jürgen Seidel. Deswegen nimmt er seine jungen Leser ernst, unterhält sie, aber er fordert sie auch: „Als Jugendlicher habe ich jeden Erwachsenen verachtet, der mich wie jemand Unfertigen und noch Unfähigen behandelt hat“, erklärt er. Daher hat er auch keine Bedenken, die Jugendlichen heute mit schwierigen Themen wie dem Nationalsozialismus mit all seinen Auswüchsen zu konfrontieren: „In der Literatur darf man ihnen einiges zutrauen.“ Sein aktueller Roman, „Das Paradies der Täter“, der diesen Monat im Münchener cbj-Verlag von Random House erscheint, ist der Abschluss einer „Themen-Trilogie“ wie er sagt. 2010 ist mit „Blumen für den Führer“ sein erster in sich abgeschlossene Roman zum Thema NS-Zeit erschienen, hier ging es um die 15-jährige Reni, die als glühende Hitler-Verehrerin viel zu spät begreift, dass ihre Welt völlig aus den Fugen zu geraten droht. Letztes Jahr folgte „Die Unschuldigen“, in dem die 19-jährige Heidrun gegen Ende des Krieges als Mitglied eines SS-Mordkommandos schwere Schuld auf sich lädt und sich dann noch in den Sohn des Opfers verliebt. „Das Paradies der Täter“ nun spielt nach dem Krieg und zeigt das Leben und die Konflikte von zweierlei deutschen Exilanten im argentinischen La Plata: auf der einen Seite untergetauchte Nazis, auf der anderen Seite (vor ihnen) geflohene Juden. „Es war das Exil für alle“, hat Seidel recherchiert, „Opfer und Täter sind beide da gelandet“.

„Kippots“ und „Weiße“

In der deutschen Schule „Colegio Friedrich“ sitzen die Kinder der untergetauchten Nazis zusammen mit jüdischen Schülern im Unterricht. Der 17-jährige Tom Blume ist neu in der Stadt und gerät gleich am ersten Tag in eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden ungleichen Parteien. Ohne es zunächst zu wissen, schlägt er sich buchstäblich auf die Seite der „Kippots“, der jüdischen Gruppe und wird fortan als einer der ihren angesehen. Er klärt den Irrtum nicht auf, weil er sich in das jüdische Mädchen Walli verliebt hat. Außerdem schämt er sich für seine immer noch unbelehrbaren Nazi-Eltern und hat Angst vor der Ablehnung seiner neuen Freunde. Immer tiefer verstrickt er sich in sein Lügengeflecht, umso mehr als ein Mord geschieht und der Streit zwischen den „Kippots“ und den „Weißen“ zu eskalieren droht. Als die Wahrheit schließlich doch ans Licht kommt, wird es erst richtig kompliziert und auch lebensgefährlich – nicht nur für den jungen „Helden“, der er gerne wäre.

Die dramatischen Ereignisse gestaltet Seidel spannend und auch ‚actionreich‘, da kommen Waffen zum Einsatz, es gibt Schlägereien, Entführungen und sogar Mord. Dann aber beschreibt er zugleich sehr intensiv und lebendig – ganz aus der Perspektive des Ich-Erzählers Tom – das Aufbegehren der Jugendlichen gegen die Autorität der Erwachsenen, die längst jede Glaubwürdigkeit verloren haben. Er zeigt eindringlich die Scham und Wut des Jungen über die Schuld der Eltern, besonders über die vermutete Mittäterschaft des verbohrten Vaters, mit dem er immer wieder aneinander gerät. Und dann ist da schließlich noch die sehr einfühlsame Darstellung einer ersten großen Liebe, mit ihrer ganzen Verwirrung und Ernsthaftigkeit. Alles literarische Zutaten, die auch den erwachsenen Leser zu fesseln wissen.

Offene Fragen

Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist dem in Berlin geborenen Jürgen Seidel auch ein persönliches Anliegen: „Das hat damit zu tun, dass ich 1948 geboren bin und auch viele Fragen nicht beantwortet bekommen habe. Viele hatten Erinnerungen, über die sie nicht reden wollten. Diesen Konflikt habe ich mein Leben lang herumgetragen.“ Außerdem will er mit seinen Romanen dazu beitragen, die oft „holzschnittartige“ Darstellung der Zeit mit klarer Einteilung in Täter und Opfer stärker zu differenzieren. Er möchte die „Grautöne zulassen“ und hat deshalb besonders mit der fanatischen Reni in „Blumen für den Führer“ ganz bewusst eine aus heutiger Sicht provozierende „Mischfigur“ geschaffen, mit der sich die Leser nicht identifizieren können: „Ich traue ihnen zu, dass sie es verstehen und richtig reagieren, wenn sich eine Figur nicht als Vorbild eignet“, so Seidel. Seine Figur Tom Blume dagegen ist trotz oder gerade wegen seiner vielen Konflikte eindeutig positiv angelegt, denn „er versucht zu versöhnen, er hat Schuld mitgebracht und muss da durch“, erklärt der Autor. Und das Schöne für den Leser ist, dass er es am Ende auch schafft. So ist „Das Paradies der Täter“ auch für Seidel der versöhnliche Abschluss seiner Beschäftigung mit der NS-Zeit: „Insgesamt kann man den ‚Dreisprung‘ der Romane über diese Schreckenszeit auch so zusammenfassen, dass Reni einen folgenschweren Irrtum begeht, Heidrun ihn ausbaden wird und Tom die Katastrophe persönlich überwindet.“ Da bleibt nur eines: Unbedingt lesen!

Bücherwürmer aufgepasst! Der Neusser verlost ein Exemplar von „Das Paradies der Täter“. Schickt einfach eine E-Mail mit dem Stichwort „Tom Blume“ bis zum XX. März an glueck@derneusser.de.