„Das Käthchen von Heilbronn“ im RLT – Im Rätsel der Charaktere

1. Februar 2013 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Kämpfe, Begierde und Machtgelüste, dazu Traumdeutung, Sehnsucht und Liebeswahn, ein bisschen Märchen, viele Rätsel und eklatante Gegensätze, das ist das kraftvolle Gemisch von Heinrich von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“. Es ist ein lebhaftes Ritterschauspiel, opulent ausgestaltet durch Mannigfaltigkeit an Orten, Geschehnissen und Figuren. Nicht umsonst avancierte es im 19. Jahrhundert zu einem der beliebtesten Stücke des zum Irrationalismus und geheimnisvoll Brüchigen neigenden Dramatikers. Doch derartige Üppigkeit und der romantisch verklärte Flair des Klassikers von 1807/08 passen nicht leicht in heutige Theaterwelt. Im RLT wurde das Käthchen jetzt in abgespeckter und erfrischend moderner Version auf die Bühne gebracht, wurde schwungvoll der Rätselhaftigkeit Kleist’scher Figuren nachgespürt. Feuer, Akrobatik und Männergelüste unter dem Schleier jungfräulichem Liebestaumel. Nuancierte Zerrissenheit im Hier und Heute nachgespürt.

„Was mir ein Traum schien, nackte Wahrheit ist‘s“, erkennt der Graf Friedrich Wetter vom Strahl Richtung Ende des Stücks. Denn Träume werden hier zur Realität, durch den unbeirrbaren Glauben und der unerschütterlichen Liebe des 15-jährigen Käthchens, der Tochter eines Waffenschmieds in Heilbronn. In der Silvesternacht offenbart sich ihr Schicksal. Im Schlaf erscheint Käthchen im Geleit eines Engels der Mann ihrer Liebe, den sie später im Graf Wetter vom Strahl wiedererkennt. Ergeben und bedingungslos folgt sie diesem von da an nach, wie ein treues Hündchen hängt sie sich an seine Fersen. Weder Vater, Graf noch Gericht können sie von ihrem demütigen, hingebungsvollen Ringen abbringen. Sie beharrt auf ihrem Willen, bettet sich im Stall oder unterm Holunderbusch, um in der Nähe ihres Ersehnten zu sein. Doch der Graf, er will sie nicht. Zumindest erst. Denn auch ihm ist seine Zukünftige im Traum erschienen, zwar ohne Gesicht, aber als Tochter eines Kaisers. In der Männer betörenden Kunigunde von Thurneck, seiner ehemaligen Feindin, die sich zielsicher ihrer Verführungskunst bedient, scheint er seine Liebe zu erkennen. Eher zufällig wird er zu ihrem Retter und nimmt sie zu sich, um sie zu heiraten. Doch Intrigen, Angriffe, Brand und Fluchten und nicht zuletzt das beherzte Wirken des Käthchens belehren ihn eines Besseren.

Rätselhafte Situationen und Charaktere sind wesentlich für Kleists dramatischen Stil. Auch im Käthchen mag man sich gerne fragen, wo der Weg der einzelnen hingeht und was ihr Antrieb ist. Der Graf, er kann gemein und grob sein. Lüstern und begierig lässt er sich von Kunigunde einfangen. Verächtlich will er sich vom lästigen Anhängsel Käthchen befreien. Und doch fühlt er sich auch von ihr angezogen, wird durch ihre Reinheit weich und zart, fast schutzbedürftig.

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Catharina Fillers geht in ihrer Inszenierung gerade diesem Undurchschaubaren, mystisch Märchenhaften und irritierend Zwiespältigen auf die Spur. Nur sieben Leute braucht sie, wo sonst über zwanzig agieren, um den Kern des Stoffes aufzubereiten. Drei athletische Schauspieler nutzt sie, um sämtliche Nebenrollen auszukleiden. Im goldenen, hautengen Ganzkörpertrikot schlüpfen sie in verschiedenste Figuren, deuten Natur, Tageszeit und Stimmung, kommentieren und treten aus dem Stück. Das muss man mögen, vor allem die Komik, die sie teils begleitet, aber der Fokussierung tut es gut. Die Konzentration liegt auf vier Hauptakteuren, dem Grafen, dem Käthchen, der Kunigunde und dem Vater. Sie alle verfolgen ein scheinbar klares Ziel und doch ist dieses bei jedem brüchig. Fillers arbeitet sich an die Zerrissenheit jedes einzelnen, verlässt das Märchen und tritt in unsere Welt. Nicht Fisch, nicht Fleisch, wer sind sie nur? Der Graf, wunderbar akzentuiert dargeboten von Stefan Schleue, schwankt zwischen den weiblichen Polen, reibt und sucht sich an ihnen, brennt gierig für Kunigunde und fließt zart dem Käthchen zu. Aber viel an ihm ist ein Mann, der fordert, will und entscheidet. Einer, der sich, nicht andere zu ergründen versucht. Das Käthchen hat ebenso ihre zwei Seiten. Mag sie winselnd ihrem Herren nachjagen, so lässt sie sich doch nicht beirren. Wie Kunigunde ist sie klar aufgestellt, was ihr Anliegen ist. So scheint es. Doch Kunigunde, als sexy provokative Männerphantasie prima von Katharina Dalichau ins Licht gesetzt, kommt plötzlich als ferngesteuerte Puppe daher. Ein Symbol ihrer Künstlichkeit. Ein harter Bruch. Bei Käthchen, niedlich wie nachdenklich von Emilia Haag dargeboten, zeigen sich die Diskrepanzen seichter. Endlich am Ziel, als sich der Graf in seiner Liebe zu ihr wendet, kommt keine wahre Freude auf. Mit zögerlichem Zweifel und fragender Skepsis lässt sie ihre Hand ergreifen, doch weiß man nicht, ob sie an ihr hält. So ist es schlüssig, dass das Stück mit des Grafen Worte schließt: „Willst du mich?“ Dröhnen im Raum. Das Licht geht aus. Die Antwort des Käthchens bleibt offen. – Eine moderne Inszenierung, die die Rätsel vertieft und weitere aufgibt, bewusst Interpretationslücken lässt. Ein interessanter Abend.

(Nähere Infos unter www.rlt-neuss.de )