Khemiris ≈ [ungefähr gleich] im Rheinischen Landestheater

25. Mai 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Mit seinen Romanen ‚Das Kamel ohne Höcker‘ und ‚Montecore‘ wurde er zu einem der bekanntesten Autoren Schwedens: Jonas Hassen Khemiri, geboren 1978 in Stockholm. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in Paris und Literatur an der Universität von Stockholm. Seine Bücher wurden in über 20 Sprachen übersetzt. Sein Debutstück ‚Invasion!‘ wurde auf Anhieb ein internationaler Erfolg und etablierte ihn zudem als einen der wichtigsten skandinavischen Gegenwartsdramatiker. In ‚≈ [ungefähr gleich]‘ durchleuchtet Khemiri Rubbellos reibende Outsider, die sich für einen Platz in der „freien“ Erfolgsgesellschaft abmühen. Ohne Chance. Seine kunstvoll verzahnten Erzählstränge, die sich episodenhaft zum Ganzen fügen, weiß die RLT-Inszenierung von Nina de la Parra geschickt ins „Lebenspool“ umzusetzen, um aus verschiedenen Perspektiven dem Gesellschaftselend nahe zu rücken.

Ungefähr gleich, ein Titel mit Menschen im Visier. Eine provokante Aussage, zumal wenn sich der Blick auf die steigende Kluft zwischen Arm und Reich in der Welt richtet. Immer mehr Reiche gibt es zu verzeichnen und gleichzeitig mehr und mehr Arme. Das mag nicht zusammenpassen, ist aber Fakt. Die Schere klafft mit Tendenz zum weiteren Aufklappen konsequent auseinander, was Berechnungen der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam belegen. 82 Prozent des 2017 neu erwirtschafteten Vermögens sind laut Oxfam-Bericht „Reward Work, not Wealth“ („Belohnt Arbeit, nicht Vermögen“) an das reichste Prozent der Weltbevölkerung geflossen. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr Vermögen als die anderen 99 Prozent zusammen. Die Zahl der Milliardäre ist im vergangenen Jahr so stark angestiegen wie nie zuvor, auf einen Rekordwert von 2043 Superreichen.

Chancenlos wartend

Ungefähr gleich“ geht es mit dem Wegbrechen einer breiten gut situierten Mittelschicht dann doch eher nicht in der Welt einher. Gesellschaft braucht Erträge, leistungsstarke und willige Menschen, die spurten. Jeder möchte seinen Teil vom Zuckerkuchen, auch wenn der Zucker schon längst nur noch in der obersten Spitze steckt. So ist es dann auch im Stück. Eine Hand voll Menschen, die versuchen, Teil einer durchökonomisierten Welt zu werden. Sie hängen an ihren Vorstellungen von einem erfüllten und erfolgreichen Leben. Doch bleiben sie chancenlos in einer Welt, die den Wert eines Individuums an seinem Finanzkapital bemisst. „Schaffen Sie das, warten bis Sie an der Reihe sind?“, fragt die Frau im Jobcenter Andrej, der jetzt endlich eine Stelle braucht. Er hat Abitur, gute Noten, on top einen Wirtschaftskurs besucht und ist strebsam wie fleißig. Beste Voraussetzungen also für einen adäquaten Start ins Business. – Allerdings gibt es ein Handicap: Andrej hat einen Migrationshintergrund. Pech, er ist raus.

Martina kommt aus guten Verhältnissen, da hätte sie unter Umständen was werden können. Leider hat sie nur einen Job im Kiosk bekommen. Ihr Leben bewegt sich weit entfernt von ihren Träumen, auch wenn sie diesen mit Betrügereien versucht näherzukommen. Bei Mani, ihrem Freund, läuft es auch nicht gerade rund. Als erfolgloser Dozent für Wirtschaftsgeschichte glaubt er noch an die Zerschlagung des kränkelnden Systems, obgleich er versucht, fester Bestandteil von genau diesem zu werden. Freja hat eh schon ihre Stelle verloren, da ist die Hoffnung dahin. Nur Rache ist noch aktiv, die Freja dann an ihrer Nachfolgerin auslässt.

Ungefähr gleich ist ihr Elend. Nicht der Mensch an sich oder die Chance. Jeder kämpft für sich in Khemiris Schauspiel. Die Geschichten, und davon gibt es noch mehr, laufen erst aneinander vorbei. Bis sie sich begegnen, vernetzen – in einer Welt der Trostlosigkeit. Regisseurin Nina de la Parra bringt es auf den Punkt: „Man möchte am liebsten eintauchen in die Träume vom ökonomischen Erfolg – wie in eine Badewanne voller Schaum. Wenn aber die letzten Seifenblasen geplatzt sind, sitzt man im kalten Wasser und hat sein Leben verträumt.“ Gemeinsam mit Ausstatterin Jutta Bornemann schafft sie ein kluges, schlichtes wie markantes Abbild des wahnwitzigen Treibens. Sie lässt die Figuren um ein Bällebecken kreisen, in das sie auch eintauchen. Mal schwimmend, mal versinkend – auch aussteigend. Ein raffiniertes Requisit, das die vielen Rollen, die sich auf wenige Darsteller verteilen, zusammeneint. Gleichwohl bietet die Szenerie einen passenden Schauplatz, der die Fantasie beflügelt und aus ihr den Episoden die geforderte Dramatik einverleibt. Kopfüber, seitlich oder reinrutschend begeben sich die Protagonisten in den Pool des Lebens, der außer einer gleichförmigen Tristesse wenig zu bieten hat. Erst rechnen sie noch scharf, kalkulieren und vergleichen. Alles eine Kosten-Nutzen-Angelegenheit – und Wirtschaftswissenschaft. Am Ende ist es schlichtweg Ungerechtigkeit, die die Verlustrechnung offenlegt.

Sieben Schauspieler in über 20 Rollen. Menschen, die kämpfen, straucheln, schummeln, sich verheddern und sich in die Quere kommen, um von unten die Einkommensleiter zu erklimmen. Bitter böse, auch bissig heiter in Szene gesetzt. Ein Bällebad zum Spielen; Aufspielen. Pfiffig, schlagfertig und temporeich.

Marion Stuckstätte