Selbst ist der Mann!

6. April 2017 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Foto: Erich Bödeker

Naive Kunst von Erich Bödeker und Josef Wittlich

Ob Adenauer, Willy Brandt oder Brigitte Bardot, ob eine Kirche von der Postkarte oder ein Mannequin aus dem Katalog – die Inspirationsquellen naiver Kunst sind vielfältig, die Wege eigenwillig. Sie begründet sich nicht aus einer Lehre, hält sich nicht an künstlerische und zeitgenössische Maßstäbe, sondern unterliegt allein dem eigenen, freien Schaffensdrang und der persönlichen Kreativität. Wie die Entstehungsgeschichten der Werke, so sind auch die Lebenswege der Künstler oft skurril. Zwei dieser Autodidakten, die mit ihrem ungewöhnlichen Schaffen zeigen, warum die Kunst der „Naiven“ einen nicht unbedeutenden Stellenwert einnimmt, zeigt das Clemens Sels Museum in seiner Frühjahrsausstellung: die Skulpturen des Bildhauers Erich Bödeker (1904-1971) und das malerische Werk von Josef Wittlich (1903-1982). 

Sie besuchten keine Kunstschulen oder Akademien. Als Autodidakten eigneten sie sich ihre Fähigkeiten selbst an und schufen ihre Werke frei vom Zwang äußerer Vorgaben. Um die Werke dieser naiven Künstler einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen, bedurfte es besonderes Engagement fußend auf schicksalhafter Fügung. Denn weder Erich Bödeker noch Josef Wittlich erfuhren anfänglich Anerkennung für ihr kreatives Tun. Im Gegenteil, von Kollegen, Freunden und Verwandten wurden ihre Werke eher belächelt. Wittlich verschenkte viele seiner Bilder. Die ungewöhnlichen Skulpturen des Bildhauers Bödeker fanden anfangs nur Platz in seinem Garten. Aber auch ohne öffentliche Akzeptanz und trotz Ablehnung ließ sich keiner der beiden Künstler von seiner Passion abbringen.

Auf Bödekers Skulpturen wurde Thomas Grochowiak, der damalige Direktor der Städtischen Museen Recklinghausen, zufällig aufmerksam. Dann jedoch verging bis zur ersten öffentlichen Schau einiger auffälliger Plastiken wenig Zeit. Das war der Durchbruch. Fortan wurden die Arbeiten in zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen präsentiert und waren schnell auf dem Kunstmarkt gefragt.

Bei Wittlich war es 1967der Maler und Keramikkünstler Fred Stelzig, der bei einem Besuch der Steuler-Werke, in denen Wittlich als Hilfsarbeiter beschäftigt war, die großen, bunten Bilder mit Interesse bemerkte, die sich überall in den hohen, grauen Hallen und in den Werkstätten wiederfanden. Stelzig ließ eine größere Auswahl der Blätter abhängen und präsentierte sie Dieter Honisch, dem damaligen Direktor des Württembergischen Kunstvereins. Noch im gleichen Jahr wurden die Werke Wittlichs in einer Ausstellung gezeigt. Sämtliche Exponate wurden verkauft.

Vom Gartenzwerg zur Kunstskulptur

Es sind ungewöhnliche Wege, die diesen auffälligen und kuriosen Kunstwerken einen Platz in der Kunstwelt bahnten. Nicht weniger verwunderlich sind die Pfade ihrer Entstehung und die Lebensläufe ihrer Schöpfer. Beide Männer verrichteten zum Broterwerb schwere körperliche Arbeit. Erich Bödeker arbeitete mehr als vierzig Jahre als Bergmann unter Tage. Wie viele andere Kumpel erkrankte er an Silikose (Staublunge) und wurde mit nur 54 Jahren pensioniert. Anlässlich des beruflichen Ausscheidens schenkte man ihm zwei Gartenzwerge: der Impuls für Bödeker zur Bildhauerei. Im festen Glauben, dass er einen schöneren Wichtel formen könne, begann er, Figuren aus Holz und Zement zu fertigen. So zählen zu seinen frühesten Arbeiten tatsächlich etliche Gartenzwerge. Jedoch wuchs hieraus schnell eine einzigartige plastische Wunderwelt, die seinen Garten und Hof füllte.

Zwar malte Josef Wittlich bereits leidenschaftlich als Kind, dennoch erlangte er erst nach seiner zufälligen Entdeckung mit 64 Jahren Bekanntheit. Nicht nur biografisch, sondern auch im Werk der beiden Künstler gibt es Parallelen. Sie reagierten mit ihrem Schaffen auf eine vielfältige Bilderwelt. Beispielsweise befassten sich beide mit Mitgliedern der englischen Königsfamilie ab. Als Vorlagen dienten ihnen Fotos von Prominenten aus Illustrierten.

Die Schau im Clemens Sels Museum präsentiert demgegenüber aber auch etliche Arbeiten, die sich thematisch nur einem der beiden Künstler zuordnen lassen. Zum Werk des Bildhauers gehören etwa Tierskulpturen, die ursprünglich auf heimischen Wiesen Bödekers präsentiert wurden. Zum Œuvre Wittlichs zählen unzählige Schlachtendarstellungen, die nach Vorlagen aus Geschichtsbüchern entstanden.

Bizarre Akzente gegen bestehende Normen

Die Qualität der Arbeiten Naiver Künstler sowie deren Bedeutung und Einfluss auf die Kunst anderer ist unbestritten. Erich Bödeker und Josef Wittlich schufen einzigartige Werke, die auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch faszinieren.

In der aktuellen Ausstellung wird ihr freier und experimenteller Umgang sowohl bei der Wahl ihrer Themen als auch bei der Verwendung und Verarbeitung der gewählten Werkstoffe sichtbar. Die unkonventionellen Arbeitsmethoden brechen mit bestehenden Regeln; die dargebotenen Bilder und Skulpturen mit ästhetischen Normen. Sie führen zu einer neuen, eigenen künstlerischen Ausdrucksweise, die die Schau und der 96-seitige Katalog anschaulich und aufschlussreich darlegen. Präsentiert werden sowohl Werke aus dem hauseigenen Bestand sowie zahlreiche Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Hingehen empfehlenswert. Jeden ersten Sonntag im Monat ist das Vergnügen sogar kostenlos.

(„Selbst ist der Mann!“ noch bis zum 28. Mai 2017. Infos unter
www.clemens-sels-museums.de)