„Jenseits von Eden“ im Rheinischen Landestheater – Kein Platz zum Träumen

14. Februar 2017 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Adam wird aus dem Paradies vertrieben. In der Bibel. Im Roman von John Steinbecks „Jenseits von Eden“ steht er lange schon außerhalb. Weit weg vom Garten Eden auf einer Farm im rauen Westen Amerikas am Ende des 19. Jahrhunderts. Er ist Teil einer über drei Generationen erzählten Familiensaga, in der sich die biblische Geschichte von Kain und Abel widerspiegelt. Die Verfilmung des Stoffs mit James Dean als „missratenen“, um Liebe buhlenden Sohn Caleb ist weltberühmt wie legendär. Sie widmet sich nur dem letzten Drittel des Romans. Die Theateradaption von Ulrike Syha umfasst alle drei Generationen. Michael Lippold hat sie jetzt in einem stimmigen Mix aus Erzählung, Musik und Spiel im RLT auf die Bühne gebracht.

Das Leben ist kein Kinderspiel. War es für Adam noch nie. Jeder muss sich seinen Platz erkämpfen. Nichts gibt es geschenkt, nicht Zuneigung, nicht Anerkennung oder Liebe. Nicht von einer Mutter, noch vom Vater oder vom Stiefbruder. Als tiefe Gefühle erfährt er aus seinem Umfeld nur Selbstsucht, Neid und Intrige. Keine Wunder, dass er sich im Reich der Emotionen nicht auskennt und sie weder zeigen noch deuten kann. Sein tugendhaftes Wesen schützt ihn nicht. Seine Sehnsucht erliegt der intriganten Verführung und seine Strebsamkeit erstarrt in gebrochenem Dahinsiechen. Seine Geschichte ist die der menschlichen Zerstörung. Die, in der die Menschen sich gegenseitig die Welt zur Hölle wandeln. Der gute Mensch als Spielball der Bösen und zugleich als der engstirnig Verblendete. In den Bösen entflammt das Leben, doch ihr Streben zwingt alle in den Ruin.
In Steinbecks Saga gibt es Adam, Aron und Abra; daneben Charles, Cathy und Caleb. Die mit dem A am Anfang träumen noch vom Paradies, die anderen sind schon jäh in der Welt angekommen und fahren beharrlich dem Abgrund entgegen. Adams und Charles Vater ist ein despotischer Kriegsveteran, der seine Frauen missbraucht und seine Söhne demütigt. Adam schickt er in den Krieg, da er sich gegen seinen gröberen Bruder nicht behaupten kann. Er will aus ihm etwas machen, einen richtigen Mann, denn er hält Adam für seinen besseren Sohn. Doch der verabscheut die Armee, kehrt gebrochen zurück und sehnt sich nach Liebe. Dass er diese gerade in der durchtriebenen, egozentrischen, aber betörenden Cathy zu finden glaubt, macht sein Leben nicht besser. Die Anziehung der seltsamen Fremden wird ihm zum Verhängnis. Zwar gebärt sie ihm Zwillinge, zwei Söhne Aron und Caleb, doch verlässt sie ihn und diese direkt nach der Geburt, um im Bordell ihre Unabhängigkeit zu behaupten und in eigener Geschäftstüchtigkeit ihrer Selbstsucht zu frönen.

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Geboren im Sog des Verderbens
Der gutgläubige Adam versteht und verkraftet ihr Verlassen und ihre Boshaftigkeit nicht. Die Söhne sind ihm wenig Trost. Er hegt keine Zuneigung zu ihnen, versucht sie lediglich als redliche Menschen zu erziehen. Den Heranwachsenden erzählt er, ihre Mutter sei tot. Doch ihr Freudenhaus ist nicht weit entfernt, so dass der umtriebige, wilde und aufmüpfige Caleb bald von ihr erfährt und den Kontakt aufnimmt – schon allein, um zu ergründen, ob das Böse, was sein Vater in ihm sieht, aus ihrem Wesen kommt. Denn wie sehr er sich auch anstrengt, die Anerkennung seines tugendhaften, aufrechten und ehrgeizigen Bruders Aron kann er nicht erreichen. So kommt es in Calebs Verzweiflung und Neid zur Rache an seinem Bruder. Und zum tragischen Ende.
Es ist die biblische Geschichte von Kain und Abel, die der amerikanische Schriftsteller und Nobelpreisträger John Steinbeck 1952 aufgreift, die Betrachtung vom Sündenfall und Brudermord. Nur so klar wie er seine Charaktere äußerlich aufsetzt, sind sie beim näheren Hinsehen nicht. Denn sie sind in ihre Rollen geboren und haben keine Chance, ihr zu entrinnen.

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„This Is Not America“
Mag das der Ansatz sein, den Regisseur Michael Lippold für seine Interpretation des Stoffs nutzt. Denn er geht den Charakteren bewusst nicht auf den Grund und nimmt der Inszenierung die emotionale Tiefe. Was sich am Anfang wie ein Spiel im Spiel entspinnt, mit Erzählungen, Masken zum Rollenwechsel und Tafeln zur Ortsbestimmung, verdichtet sich in szenischen Handlungen. Doch die Figuren, sie werden nie in ihrer Gänze erarbeitet. Sie wirken mehr wie Bauern, weiße und schwarze, in einem Schachspiel, in dem eine übergeordnete Instanz die Züge bestimmt. So gehen sie auch unter, allesamt; werden „verheizt“. Die Guten wie die Bösen. Denn es herrscht Krieg – in, unter und zwischen den Menschen.
Da ist es nur folgerichtig, dass am Ende der Inszenierung die Katastrophe nicht nur im ersten Weltkrieg endet. Hier stellen sich die Kriege in Reihe, als Never Ending Story; „to be continued“. Im zweiten Weltkrieg, im Irak, in Afghanistan und in Syrien. Eingeleitet von David Bowies Song „This Is Not America“.
Viele greifende Ideen, gut verdichtet auf zwei Stunden vierzig inklusive Pause. Live-Musik, die Emotionen weckt. Menschen wie Schablonen, teils unter Promi-Masken, die doch viel erzählen, auch wenn sie nur skizziert wurden und sich allesamt zeigen, als seien sie verloren im Lebenssog. Zeitraffer und Zeitlupe, Akzente und Anspielungen – raffiniert abgemischt. Die Fantasie geweckt. Ein gelungener Abend. (Nähere Infos unter www.rlt-neuss.de)