Henrik Ibsens „Baumeister Solness“ im Rheinischen Landestheater – Die Illusion vom Triumph

15. November 2016 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Halvard Solness ist ein erfolgsverwöhnter Mann. Er ist Baumeister, hat erst Kirchen, später Wohnanlagen geschaffen. Sein Büro floriert, er kann sich vor Aufträgen kaum retten, dennoch plagen ihn Selbstzweifel. Nicht zuletzt da er über 50 ist und sich von der aufstrebenden Jugend in Kreativität und Dynamik bedroht sieht. Und gerade die Jugend, die 22-jährige Hilde, ist es, die ihn herausfordert und verleitet. Am Ende sogar vernichtet. Ein Blick in einen Emporkömmling, der von seiner Vergangenheit und seinem Alter eingeholt wird. Esther Hattenbach, die wir hier schon von „Die Nibelungen I“ und „Macht der Gewohnheit“ kennen, hat sich dem Schauspiel von 1892 angenommen. Sie lässt es reduziert brodeln und akzentuiert funkeln. Ein moderner, in Bildern gepackter, bohrender und beachtenswerter Angang.

Sicher, er hat eine Menge erlebt. Hat klein angefangen, hat seine Lehrjahre beim Architekten Knut Brovik absolviert, hat nicht studiert, sondern sich von der Pike auf nach oben gearbeitet. Er kam nicht von reichen Eltern, erst die Heirat mit Aline hat ihn in die besseren Kreise gehoben. Dann der Brand und die Vernichtung ihres großen Elternhauses. Für Aline ein Desaster, für Halvard der Grundstein seiner Karriere. Denn das große Grundstück hat er in viele, kleine Parzellen zerlegt und gebaut – und gebaut. Und viel, sehr viel Geld verdient.
Für Aline und sich hat er auch gebaut – und baut schon wieder. Aber ein Zuhause haben sie nie gefunden. Der verheerende Brand, dazu kurz darauf der Tod ihrer Zwillinge, hat Aline in eine Art Trance versetzt. Sie reden nicht über das Geschehene, lassen es sein. Jeder lebt sein Leben, das alles andere als glücklich ist. Zumindest in der Gemeinsamkeit. Denn Solness weiß sich abzulenken. Er baut sich über seine Erfolge auf, nutzt die Schwächen und Unsicherheiten anderer aus, um sich nach ganz oben zu befördern. Er ist ein toller Kerl, jedenfalls lässt er das nach außen so scheinen. Die Frauen, sie stehen drauf. Und die Männer, die hat er im Griff. Knut Brovik ist mittlerweile bei ihm angestellt, sein Sohn Ragnar ebenfalls. Den lobt er nie, da er weiß, dass dieser besser als er ist. Schließlich will er ihn nicht verlieren. Ein Grund, mit Ragnas Verlobten zu schlafen, die auch bei Solness angestellt und ihm verfallen ist.

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Ein Blender – bis in den Tod
Alles in allem ein gut funktionierendes System für den Baumeister, wenn da nicht diese Selbstzweifel wären. Ist das Haus damals abgebrannt, weil er sich das gewünscht hat? Sind die Zwillinge gestorben, weil er Aline nicht aufgefangen hat? Ist er ein Heuchler oder ist er wirklich gut? – Was die Sprossen der Karriereleiter erklimmen lässt, das kratzt an der Fassade des glänzenden Geschäftsmanns. Nicht wegen Reue – nur wegen der Angst des nahenden Falls. Ein Solness in quälender Zerrissenheit und geplagt von marternder Angst des Scheiterns; nuanciert und mit feinfühligem Gespür dargestellt von Joachim Berger.
Esther Hattenbach hat ein Händchen, die Geschichte aus der Erzählung abzuholen und Gedankenblitze aus ihr in den Raum zu sprühen. Am Anfang verhüllt eine riesige Folie das Spiel. Eine Fassade, auf der die Dinge, die dahinter gebraucht werden, nur aufgeklebt sind. Der Schreibtisch, die Lampe, der Garderobenständer – nur Pappe auf der semitransparenten Trennfläche. Die auftretenden Figuren nur schemenhaft zu erkennen. Ein Blick in eine Illusion, die sich schön redet. Realität ist anderswo. Die Personen wie Skizzen, im Ansatz vorformuliert. Dann aber klopft es von draußen an der „konstruierten“ Welt. Die Jugend steht auf der anderen Seite: Hilde, entflammt; fordernd wie naiv – und voller Vitalität trotzend. So fällt die Kaschierungsfolie und die Charaktere und das Leben blitzen durch. In Bildern, die sich aus dem Spiel herauskristallisieren und im Raum stehenbleiben. Gekonnt in Szene gesetzt.

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Ein Luftschloss als Königreich
Denn da kommt die Hilde (als frischer, verführerischer infantiler Wirbelwind bestens umgesetzt von Anna Lisa Grebe) in ihrem roten, kecken Kleid und wünscht sich ihr Königreich – und ein Schloss, das der Baumeister für sie errichten soll. Vor zehn Jahren hat er es ihr versprochen. Auf der Höhe seines Erfolges. Als ihm nichts etwas anhaben konnte. Nicht einmal seine Höhenangst. Da stieg er hoch auf diesen gigantisch hohen Turm und hängte die Richtkrone selber auf. Sie bewundert ihn dafür, noch heute; in leidenschaftlicher Schwärmerei, die sie für Liebe hält. Damals schon, als sie 12 Jahre alt war; und als er zu ihr nach der überschwänglichen Feier ins Zimmer kam. Seit dem sind sie verbunden – im Geiste. Sie wusste es. Er hatte es wohl vergessen.
Jetzt 10 Jahre danach kommt sie, um ihn daran zu erinnern. Sie will ihr Königreich. Aber eigentlich sucht sie nach ihrem Held. Doch der ist gar keiner. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf. Meist ist es so. Hier nicht. Denn Hattenbach akzentuiert und punktiert. In einprägsamen Bildern. Beispielsweise das, als Hilde mit einem riesigen Strauß vom „alten Land“ auf der Bühne steht. Ihr Haar wild zerzaust, ihre Augen euphorisch, aufmüpfig funkelnd; ungestüm. Sie ist die strotzende Jugend, die geschlossene Türen für die eigenen Ideen einrennt. Daneben Aline mit der Axt in der Hand und dem Baumstumpf, der längst keine Blätter und Blüten mehr trägt. Er ist tot.
„Schrecklich schön!“, schreit Hilde am Ende. Auch wenn er abstürzt, ihr Solness. Ein letztes Mal war er ganz oben, bei dem Richtkranz auf dem Dach des neuen Hauses. Denn er hatte es gewagt, für sie, für ihr Bild von ihm. Vielleicht um einmal etwas wirklich Großes zu vollbringen. Ihr Luftschloss nicht zu zerschlagen.
Man muss es etwas setzen lassen, dieses Stück. Und dann kommt es da an, wo es hingehört: Ein überaus gelungener Theaterabend!
(Nähere Infos unter www.rlt-neuss.de)