Ja, wie schwer sind die eigentlich?

20. August 2013 | Von | Kategorie: Schützenfeste

 

Wenn sie kommen, brandet Applaus auf. Tausende Augenpaare warten auf ihre beeindruckenden Aktionen. Die Fahnenschwenker gehören zu den Highlights beim Schützenfest. Ihre Fertigkeiten werden bestaunt. Warum eigentlich? Ist das Ganze wirklich so schwer? Ein Selbstversuch.

 

 

Was ist für einen Knirps das Schönste an einem Schützenzug? Nein, nicht die Gewehre oder die Uniformen. Vielleicht die dicke Trommel bei einem Tambourcorps, joa, die ist schon immens beeindruckend. Unschlagbar aber waren für mich immer die Fahnenschwenker. Wenn von den erwachsenen Köpfen über mir „da kommense!“ oder „kickens!“ gefolgt von „boah, wie jeht dat?!“ oder einfach nur Ausrufe wie „toll!“ zu hören war, wusste ich, dass auch ich in meinem hüfthohen Dasein in wenigen Augenblicken die Fahnenschwenker zu sehen bekam. Faszinierend. Und weil gerade die Älteren so viel Respekt vor deren Leistung hatten, standen die natürlich auch in meiner Gunst automatisch ganz weit oben. Bis zu einem Tag in diesem August. Da wollte ich es genauer wissen und besuchte die Mitglieder vom „Fahnenzug 1920“ Thomas Jansen (24), Torsten Groß (34), Markus (25) und Matthias Gingter (26) – Fahnenschwenker des Grenadier Korps aus Leidenschaft und Spaß an der Sache.

 

Von-jetzt-auf-gleich-Superfahnenschwenker

 

Die vier sitzen unter einer Markise im Garten. Es gibt bessere Wetterbedingungen zum Fahnenschwenken als an diesem Sommertag. Um einem Redakteur mal zu zeigen, wo der Hammer oder besser die Fahne hängt, scheinen die 37° Grad und die starken Windböen aber ideal. Das kann ja was werden, denke ich mir. „Wasser?“, Thomas Jansen stellt die Erfrischung in die Runde und macht damit klar: Hier geht es ums Fahnenschwenken mit Holzstab und Tuch und nicht um wehende Bierfahnen. Okay, geschnallt. „Das muss doch irre anstrengend sein, oder nicht?“, will ich wissen und ernte nur Schulter zuckende Schnuten und umherwandernde lachende Blicke. „Wie halten Sie sich fit, machen Sie Sport?“ – gleiche Reaktion. Ich bin baff. Jahrzehntelang dachte ich, Fahnenschwenken ist schwer, erfordert körperliche Fitness und Kondition. Thomas Jansen ist so freundlich, mein gelerntes Bild nicht ganz zu zerstören. „Also, ich hab dieses Jahr ein bisschen Tennis an der Uni gespielt und gehe ab und an ins Fitness-Studio.“ Wow. Bitte nicht falsch verstehen. Das ist sicher ambitioniert. Erwartet hatte ich aber etwas anderes. Ich blicke in die vier Gesichter und wittere Morgenluft. Ich bin fit. Nicht der, den man für eine Strongest-Man-Contest auf der Straße ansprechen würde, aber fit. „Was machen Sie beruflich?“, will ich meine Vermutung, ein Von-jetzt-auf-gleich-Superfahnenschwenker zu sein, stützen. „Ja, also das hat jetzt auch nicht so viel mit körperlicher Arbeit zu tun“, erklärt Torsten Groß mit ironischer Stimme, „ich bin im Finanzministerium tätig.“ – „Ich studiere Bau-Ingenieurwesen in Aachen“, so Thomas Jansen. Und auch die Tätigkeiten der Gingter-Brüder lassen den Schluss auf körperliche Fitness nicht zu. „Ich mache ein Ausbildung zum Bankkaufmann“, nickt Markus. „Und ich hab erst studiert, mich aber dann für eine Ausbildung zum Informatik-Kaufmann entschieden“, hebt Matthias die Handflächen. Hm, alle keine Sportler, alle Schreibtischtäter. Alles klar: Fahnenschwenken – das packe ich mit Links!

 

Zwei Meter, zwei Kilo, zwei Euro – zwanzig Kilometer

 

Genug geredet, ich will loslegen. Vielleicht bin ich an diesem Tag ja doch der zuletzt Lachende. Sollte das möglich sein? Wie schwer die Fahne ist, möchte ich wissen. „Äh, tja, wie schwer ist die eigentlich?“, fragen sich die Fahnenschwenker-Gesichter. Ich kann es kaum glauben. Wollen die mich auf die Fahne nehmen? Nein. Thomas Jansen holt tatsächlich eine Waage. Knapp zwei Kilogramm wiegt jede einzelne. Übrigens inklusive der 2-Euromünzen, die sich jeder unter seine Fahne geklebt hat. Ein unverkennbares Merkmal. „Einer hat Frankreich, einer Österreich, einer Irland…oder was ist das hier. Ach ne, Irland gibt’s gar nicht, oder?“, tönt es lachend aus der Gruppe. Oh Mann, ich wage kaum nach der Größe zu fragen. „Ja, also, hm, so 1,80 vielleicht.“ Wie vielleicht? Okay, wir messen und landen bei zwei Metern. „Oh, das hätte ich nun nicht gedacht“, lacht Matthias Gingter. Gut. Egal. Ich will jetzt was sehen. Wir gehen auf die Wiese. Drei bis vier Wochen braucht man, bis man die Figuren alle kann, dann ginge es nur noch um die Kondition, erklärt Markus Gingter. Kondition? Brauche ich nicht zu trainieren, hab ich. Kein Problem. Her mit der Fahne. Torsten Groß erklärt mir die erste Figur. Achten. Links am Kopf vorbei, rechts am Kopf vorbei. Sieht nicht schwer aus. „Ist nicht schwierig“, hält mir Groß seine Fahne hin, als hätte er meine Gedanken gelesen, „am besten so halten.“ Ich lege los. „Ja, gut, sehen Sie, ist doch gar nicht so schwer“, rufen die anderen im Kreis stehend und seit Minuten ununterbrochen Achten schwenkend. Ich schwenke auch. Ungefähr viermal links und viermal rechts, dann meldet mir mein Unterarm ein unmissverständliches Signal: noch eine Bewegung, Kollege, und ich mach’ zu!

 

Immer, wenn die Musik spielt

 

Wie kann das denn bitte sein? Ich blicke in den Halbkreis schwenkender Fahnen. Minuten vergehen. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, die Jungs schwenken Achten. Das machen sie während des Zugs übrigens immer dann, wenn die Musik spielt und wenn viele Leute zuschauen – also ziemlich oft. Und das im Gehen, insgesamt über rund 20 Kilometer. Puh. Während ich sinniere, schwenken die drei (ich habe Groß’ Fahne) permanent Achten und quatschen entspannt darüber, dass sie eigentlich hätten mehr trainieren sollen. Ich tue so, als hätte ich meine Achten nur für investigative Fragen unterbrochen, dabei befürchte ich, dass die nächsten Minuten meines Daseins wohl von einer Blamage gekennzeichnet sein werden. Matthias Gingter erkennt meine Situation. Danke. „Wenn es uns zu anstrengend wird, führen wir die Fahne einfach um den Bauch herum, greifen hier so hinterm Rücken um und ziehen sie wieder nach vorne.“ Okay, das ist einfach. Denke ich. Erster Versuch. Missglückt. Zweiter Versuch. Missglückt. Dritter Versuch. Missglückt. Ich atme durch, bevor ich der Versuchung erliege, der Fahne zu zeigen, wer hier der stärkere ist. Ganz ruhig Brauner, denke ich mir. „Ist doch ganz einfach, die rechte Hand hierhin, dann mit der linken umgreifen, aber so, dass die rechte Hand immer in der gleichen Position bleibt, sehen sie. Zack, zack, zack,…“, die Hände von Torsten Groß greifen um und um und um und ich bin verwirrt. Matthias Gingter erklärt es noch einmal, aber ich bin gedanklich raus. Erinnert mich irgendwie ans Reizen beim Skat. Das versteht auch jeder, nur ich bin dafür zu doof und muss immer einen vierten Mann zum Doppelkopf suchen. Das kann ich. „Okay, die nächste Figur“, fordere ich die Schwenker heraus und die Sonne geht auf. Also die Fahnen-Figur Sonne. Und was soll ich sagen: Es geht! Ich kann’s! Ich kann die Sonne! Ich falle auf die Knie, mache die Säge wie es Uli Hiemer im Trikot der Deutschen Eishockeynationalmannschaft nicht besser konnte. Geht doch!

 

Die Sonne geht, das Handgelenk dreht, die Achten zu spät

 

Sehr gut, so und jetzt werfen. Aus der Sonne heraus das Handgelenk einfach durchdrehen“, höre ich von Matthias Gingter. Bitte?! Handgelenk durchdrehen? Mein Unterarm liegt schon mit gewetzten Sehnen an der Aus-Linie und jetzt das noch. Aber gut, ich will den just errungenen Stolz nicht direkt wieder verlieren. Und was soll ich sagen: Ich werfe zweimal, ich fange zweimal. Na, Neusser Bürgerschützenfest, jetzt zieh’ Dich aber mal warm an! Ich bin voller Euphorie. Vielleicht musste sich mein Körper auch erst an die Bewegung gewöhnen, ähnlich der Umstellung, wenn man beim Triathlon nach dem Laufen direkt auf’s Fahrrad steigt. Nicht, dass ich diese Erfahrung jemals gemacht hätte, aber gelesen habe ich davon. Okay, Blut geleckt. „Wie lange schaffen Sie es eigentlich am Stück, Achten zu schwenken?“, frage ich in die Runde. Thomas Jansen riecht den Braten als Erster. „Wollen sie gegen uns antreten?“, lächelt er. „Also, wenn ich schon mal da bin: Ja“, gebe ich zurück. Torsten Groß misst die Zeit und es geht los. Ich fasse die Fahne so hoch wie möglich und lege den Daumen hinter das Holz, schwenke nur aus dem Handgelenk. Mein Unterarm schwillt an, wird dick und dicker – aber er krampft nicht. So stehen wir uns nun gegenüber und schwenken Achten bei saftigen 37° Grad im Schatten. Nach 4:30 Minuten ist der Spaß vorbei. Ich kann nicht mehr, aber immerhin. „Das war doch wirklich nicht schlecht. Das hätte ich nicht erwartet“, nehme ich den lobenden Tenor wohlwollend zur Kenntnis. Bevor ich aber wieder übermütig werde, zeigen die Gingter-Brüder, dass sie gerade mal warm geworden sind. Über mehrere Meter werfen sie sich die Fahne hin und her. Unglaublich. Da ist sie wieder, die Faszination des Fahnenschwenkes, wie ich sie von Stepkes-Beinen an kenne. In diesem Jahr werde ich sie wieder erleben, im Zug und an beiden Schauschwenk-Tagen: einmal am Sonntag, 18.8., 11 Uhr, beim Promenadenkonzert des Neusser Grenadier Korps vor dem Weißen Haus und am 25.8., 19 Uhr, beim Platzkonzert auf dem Markt (Übrigens: Dann sind die Plätze auf der Tribüne kostenfrei!). Ich freu mich drauf. Gehen Sie hin. Es lohnt sich.